Bonner Querschnitte 04/2013 Ausgabe 240
ZurückModerne Sklaverei â?? das verschwiegene Verbrechen mitten in der Gesellschaft
Evangelische Allianz Darmstadt thematisiert ein menschenverachtendes Tabu.
(Bonn, 28.01.2013) Um die 1300 Gottesdienstbesucher aus Kirchen und Gemeinden, die sich der âEvangelischen Allianzâ in Darmstadt verbunden fühlen, begingen am Morgen des 20. Januar zwei aufeinander folgende Gottesdienste gleichen Themas: Sklaverei in der Prostitution. Professor Thomas Schirrmacher, ein ausgewiesener Ethiker, wies mit aufschreckenden Fakten darauf hin, wie weitverbreitet und ânormalâ in den westlichen Gesellschaften eine verbrecherische Parallelwelt existiert, in der tausende junge Frauen â oft auch junge Männer â in sklavischen Verhältnissen gegen ihren Willen âarbeitenâ müssen. Oft müssen sie 40 bis 60 Mal am Tag für alles bereit sein, was sich âKundenâ wünschen. Viele wurden mit falschen Versprechungen aus dem Ausland gelockt, in inszenierte Schuldenfallen getrieben, bedroht und aus ausgebeutet. Europa sei das Zentrum dieser Machenschaften, Deutschland ein Hauptdrehkreuz. Es habe die Struktur einer âIndustrieâ, in der Schwindel erregende Summern verdient werden, die von den Mafia-Systemen eingenommen werden â die missbrauchten Frauen sind an diesen Gewinnen so gut wie nicht beteiligt. Offensichtlich habe die Gesellschaft und auch die Politik bisher weitgehend âweggeschautâ. Inzwischen werden, so Schirrmacher, dann doch immer mehr Menschen für diese Machenschaften sensibilisiert. Er wies darauf hin, dass es zur ureigensten Tradition der âevangelikalenâ Christen gehöre, schon seit Jahrhunderten ihre Stimme für diese Menschen zu ergeben und sich dafür einzusetzen, dass den missbrauchten Menschen geholfen werde. So hätten im 18. Jahrhundert weitgehend der Bibel verpflichtete Christen in langwierigen Prozessen dafür gesorgt, dass die Sklaverei schlieÃlich geächtet und verboten wurde. Keiner hätte damals ahnen können, dass sich dieses Phänomen in âmoderner Formâ Jahrhunderte später wieder ausbreite auf zur Zeit geschätzt 27 Millionen.
Pastorin Gabi Wendland von âMission Freedomâ trug in dem Gottesdienst durch einen Erfahrungsbericht bei, wie sie einzelne Frauen aus den Klauen der Mafia in Hamburg befreien konnten und ihnen zu einer neuen Existenz verhelfen. Dass die traumatisierten Menschen oft durch die Zuwendung zum christlichen Glauben auch psychisch auf einen Weg der Stabilisierung kamen, ermutigte die Teilnehmer der Gottesdienste, sich diesem Thema besonders zuzuwenden. Die City Church in Darmstadt hat sein ca. 8 Jahren einen Hilfsdienst für âgefangene Menschen in der Sexindustrieâ. Die Evangelische Allianz, ein Zusammenschluss von Christen verschiedener Kirchen und Freikirchen, hat einen Brief an die Bundestagsabgeordneten in Darmstadt vorbereitet, der von hunderten von Christen während des Gottesdienstes unterschrieben wurde. Das gemeinsame Gebet in den Gottesdiensten war ein âStartschussâ für Aktionen, die sich aus dem Thema ableiten sollen.
Demo gegen Menschenhandel und Sklaverei
Die Passanten staunten nicht schlecht, als sie sich gegen 14:30 Uhr plötzlich auf dem Luisenplatz in Darmstadt in einem Labyrinth aus rund 250 âeingefrorene Sklavenâ befand. Die Evangelische Allianz Darmstadt hatte zu der ungewöhnlichen Aktion aufgerufen.
Ziel des Flashmobs (einer spontanen Menschenansammlung) war es auf das Thema Menschenhandel und Sklaverei im 21. Jahrhundert hin zuweisen. âWir leben in einem Zeitalter der Sklavereiâ â so Pastor Marcel Redling der unter anderem auf der sich anschlieÃenden Kundgebung sprach: âHeute gibt es rund 27 Millionen Sklaven â so viele wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit.â
Zu dem Flashmob waren Jung und Alt gekommen. Jeder der Teilnehmer hatte ein Pappschild auf dem z.B. zu lesen war âDodo, 13 Jahre alt, Kindersoldat im Kongoâ, âLylin, 17 Jahre alt, Näherin auf den Philippinenâ oder âNadja, 19 Jahre alt, Zwangsprostituierte StraÃenstrich Darmstadtâ und war ab 14:30 Uhr für 20 Minuten zu einem Labyrinth aus Sklaven âeingefrorenâ. Die erstaunten Passanten mussten so durch dieses spontane Sklavenmeer gehen, viele blieben still stehen, mancher nickte zustimmend, andere schüttelten betroffen den Kopf.
Auf der im Anschluss folgenden Kundgebung erklärten die Initiatoren die ungewöhnliche Aktion: Man wollte den vielen unbekannten Sklaven einen Namen geben â hieà es. Pastor Samuel Diekmann rief die Teilnehmer mit âViva la Reformationâ dazu auf sich gegen den Menschenhandel und für Freiheit und Gerechtigkeit stark zu machen. Ihm folgte Gaby Wentland von âMission Freedom e.V.â â einer Arbeit unter Zwangsprostituierten in Hamburg. Wentland berichtete aus ihrer Arbeit in Hamburg und rief dazu auf auch in Darmstadt und Hessen nicht die Augen vor diesem Problem zu verschlieÃen.
In einem anschlieÃenden âMarsch der Freiheitâ marschierten die Teilnehme unter Polizeischutz durch die Darmstädter FuÃgängerzone und demonstrierte lautstark für eine Sensibilisierung und eine gesellschaftliche Ãchtung jegliche Form von Ausbeutungen und Versklavung von Menschen.
Die Reden von Pastor Samuel Diekmann und Gaby Wentland können unter http://jesus-gemeinde-dietzenbach.podspot.de/ als Podcast nachgehört werden.
Links:
· Predigt im 2. Eröffnungs-Gottesdienst von Prof. Dr. Dr. Thomas Schirrmacher (mp3)
· Bericht im Darmstädter Echo: http://www.echo-online.de/region/darmstadt/-Schaut-nicht-weg-stoppt-Sklaverei;art1231,3589762
· Evangelische Allianz Darmstadt: http://www.evangelische-allianz-darmstadt.de/bericht/berichte.html#2013Godi
· Blogeintrag von Ismail Tipi (CDU), Mitglied des Hessischen Landtages: http://www.ismail-tipi.de/inhalte/2/aktuelles/31783/flashmob-gegen-sklaverei-und-zwangsprostitution/index.htmlwww.ismail-tipi.de/inhalte/2/aktuelles/31783/flashmob-gegen-sklaverei-und-zwangsprostitution/index.html
· PRO Vorabbericht: http://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft.html?&news%5Baction%5D=detail&news%5Bid%5D=6160
Downloads:
· Fotos von Joachim S. Müller bei Flickr: http://www.flickr.com/photos/joachim_s_mueller/sets/72157632567797223/
· Foto1: Thomas Schirrmacher während seiner Predigt
· Foto2: Thomas Schirrmacher während seiner Predigt
· Foto3: Thomas Schirrmacher mit Gaby Wentland
· Foto4: âeingefrorene Sklavenâ beim Flashmob
· Foto5: bei der Kundgebung
· Foto6: Teilnehmer der Kundgebung mit Pappschild