Bonner Querschnitte 11/2018 Ausgabe 528

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Ich gratuliere der BILD!

Ein Kommentar von Thomas Schirrmacher

(Bonn, 11.05.2018) Als ich am 30.1.1999 als Aufhänger auf der Titelseite der BILD zitiert wurde, konnte ich mir die Seite nicht stolz an die Wand hängen, weil in das Zitat ein frauenverachtendes Oben-ohne-Bild ragte. Selbst wenn die BILD einem Papst eine BILD-Bibel überreichte und das Foto davon auf der Titelseite prangte, fand sich direkt darunter ein Nacktfoto.

Cover InternetpornografieIm März 2012 schaffte die BILD das tägliche nackte „BILD-Girl“ auf der Titelseite ab, nach über 5000 solcher Titelseiten. Allerdings gab es im Inneren fast täglich nackte „BILD-Girls“, wenn nicht, dann wurden in Berichten Frauen nackt abgebildet oder Bilder aus dem Playboy nachgedruckt. Zwei Nackte pro Ausgabe gab es aber fast nie. Zudem gab es viel Traffic auf der Pornoseite der BILD mit den BILD-Girls und einen großen Hype um die Wahlen der BILD-Girls des Monats und des Jahres.

Am 12.3.2018 meldete die BILD auf S. 9 in einem sehr schlüpfrigen Artikel, in Zukunft „keine eigenen Oben-ohne-Produktionen von Frauen mehr zu zeigen“, weil sie zunehmend das Gefühl hätten, „dass viele Frauen diese Bilder als kränkend oder herabwürdigend empfinden“. Man erfindet angeblich „einen neuen, zeitgemäßeren Fotografie-Stil für Frauen“, de facto handelt es sich um BILD-Girls in Bikinis und knapper Unterwäsche. Auch meint man, nicht ganz auf Oben-ohne-Bilder verzichten zu können, etwa wenn Kati Witt im Playboy erscheint; man wolle da ab jetzt aber „vorsichtiger, nachdenklicher“ sein.

So halbherzig das sein mag und so sehr das eher dem Trend folgen dürfte, weil insbesondere Frauen Vollnackte nicht mehr sehen wollen und es bei Frauen nach Untersuchungen auch gerade keinen Werbeeffekt hat, so sehr gratuliere ich der BILD trotzdem zu diesem Entschluss.

Je weniger Pornografie, desto besser für die Würde der Frauen, desto besser für die Gleichberechtigung, desto besser für das Selbstbewusstsein derer, die nicht makellos aussehen.

Cover Internetpornografie - Pravda o pornografiiDazu möchte ich vier Gründe anführen:

  • Mehrere Untersuchungen aus neuester Zeit zeigen: Die Häufigkeit sexueller Begegnungen nimmt statistisch gesehen in der westlichen Welt spürbar ab, dafür die Häufigkeit der Autosexualität (Selbstbefriedigung) im Verhältnis zu pornografischen Darstellungen stark zu. Die sexuelle Revolution tötet das, was man früher einmal als Einziges ‚Sex‘ nannte, nämlich Sexualität zu zweit.
  • Eine Zusammenstellung aller verfügbaren Studien weltweit hat gerade belegt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen einem hohen Konsum von Internetpornografie und dem sprunghaften Anstieg von Potenzstörungen (medizinisch: „erektile Dysfunktion“) bei unter 40-jährigen gebe. Wieder: Pornografie tötet Sex. Immer mehr junge Menschen können ‚es‘ nicht mehr ohne Pornografie.
  • Eltern klären ihre Kinder heute meist nur in Sachen Verhütung auf, ein echtes Gespräch gibt es nicht häufiger als in früheren Generationen. Vielmehr verweisen sie auf Schule, Jugendzeitschriften und pornografische Darstellungen im Internet. „Da siehst du, wie das geht.“ Damit verweisen sie auf das, was in der Internetpornografie dominiert: Gewalt in der Sexualität, Sex ohne Kondom, Frauenverachtung usw. Für viele Teenies ist das dann ihre ‚Aufklärung‘. Laut Umfragen der Bundeszentrale für politische Bildung geben mehr als 50% der männlichen Jugendlichen an, dass das Internet ihre häufigste oder einzige Quelle der Information in Sachen Sexualität sei.
  • Und schließlich hat ausgerechnet Pamela Anderson zusammen mit einem Rabbi im Wall Street Journal Pornografiekonsum – und damit ihr eigenes Leben – als großen Irrtum bezeichnet und die Gesellschaft aufgefordert, sich von der Pornografie abzuwenden. Shelley Lubben ist schon früher ausgestiegen und immer mehr Aussteiger der Pornoindustrie klagen an.


Cover Internetpornografie - Demnitate pierduta - Pornografia pe internetThomas Schirrmacher veröffentlichte zum Thema Pornografie:

  • „Aufklärungsformate im Fernsehen: Die Ironie der sexuellen Revolution“. S. 202–208 in: Die Medienanstalten (Hg.). Programmbericht 2014: Fernsehen in Deutschland: Programmforschung und Programmdiskurs. Vistas: Leipzig, 2015. ISBN 978-3-89158-610-5
  • „Internetpornografie“. S. 141–160 in: Berthold Wald (Hg.). Freiheit und Bindung: zur Ambivalenz menschlicher Sexualität: Vorlesungsreihe der Katholischen Fakultät. Bonifatius: Paderborn, 2015. 250 S. ISBN 978-3-89710-510-2
  • „Producing Child Pornography in Order to Reduce Child Molestation?“. S. 361–363 in: Ileana Rogobete, Alexandru Neagoe (Hg.). Contemporary Issues Facing Families: An Interdisciplinary Dialogue. Bonn: VKW, 2013. ISBN 978-3-86269-083-1
  • „Internetpornografie – Verbreitung und psychologische Folgen“. S. 115–133 in: Friedhelm Jung (Hg.). Orientierung in orientierungsloser Zeit: Festschrift für Paige Patterson zum 70. Geburtstag. Lage: Lichtzeichen Verlag, 2012. ISBN 978-3-86954-077-1
  • Interviewtexte S. 218, 220, 223-224, 239–241 in: Petra Grimm, Stefanie Rhein, Michael Müller. Porno im Web 2.0. Schriftenreihe der NLM 25. Berlin: Vistas, 2010. 978-3-89158-523-8
  • „Sie glauben, Frauen sind allzeit verfügbar“ (Interview zum Buch ‚Internetpornografie‘). Bild der Frau Nr. 39 vom 20.9.2008. S. 30–31.

Buchveröffentlichungen von Thomas Schirrmacher zum Thema Pornografie:

Das Buch ‚Internetpornografie‘ wurde ins Rumänische und ins Russische übersetzt:

Dokumente

BQ0528.pdf