Bonner Querschnitte 18/2014 Ausgabe 304
ZurückBrasilia: Schirrmacher am brasilianischen Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht
[Ãbersetzt und zusammengestellt aus portugiesischsprachigen Quellen]
(Bonn, 12.06.2014) âReligion und Weltanschauung sind ein Teil der Persönlichkeit und nicht wie ein Auto etwas, dessen Verwendung man ganz nach Gutdünken dann und wann ganz oder zeitweise einschränken kannâ, sagte der deutsche Menschenrechtler Thomas Schirrmacher im brasilianischen Bundesgerichtshof. Er referierte vor 400 Kongressabgeordneten, Regierungsmitgliedern, Richtern, Leitern der historischen Kirchen des Landes und Vertretern nichtchristlicher Religionen, sowie der Leitung der christlichen Anwaltsvereinigung âAnajureâ.
Schirrmacher ist Rektor des Martin Bucer Seminars einschlieÃlich seines brasilianischen Zweiges, Direktor des International Institute for Religious Freedom und Botschafter für Menschenrechte der Weltweiten Evangelischen Allianz.
âAnajureâ eröffnete den 1. Internationalen Kongress über bürgerliche Freiheiten im Auditorium des brasilianischen Bundesgerichtshofes mit dem Thema âMeinungsfreiheit und Gewissensfreiheitâ. Die Vorlesungen hielten Thomas Schirrmacher, Professor für Religionssoziologie und internationaler Menschenrechtsaktivist, und Dr. Jonatas Machado, Professor für Verfassungsrecht an der Staatlichen Universität von Coimbra in Portugal. Die Vorlesungen wurden von Prof. Dr. Uziel Santana von der Universität Aracaju, Brasilien, und Präsident der christlichen Anwaltsvereinigung âAnajureâ moderiert.
Dr. Machado sprach über âDie Paradoxie der verfassungsgemäÃen religiösen Neutralität des Staates zwischen Theismus und Atheismusâ und âDer Weltanschauungskampf rund um Meinungsfreiheit und Verbot der Hassredeâ.
Dr. Schirrmacher sprach über âDie Lage der Religionsfreiheit weltweitâ und über âGründe für die Förderung und Verteidigung der Religionsfreiheitâ und beantwortete dabei drei Fragen: 1. âWarum die Religionsfreiheit Teil der nationalen und internationalen öffentlichen Ordnung sein sollteâ, 2. âWarum die Religionsfreiheit hilft, eine friedliche Gesellschaft zu bauenâ und 3. âWarum die Religionsfreiheit im Interesse nicht-religiöser Menschen istâ.
Der Präsident des Landes wurde dabei vom obersten Minister des Generalsekretariats des Präsidenten von Brasilien (âMinistro-chefe da Secretaria-Geral da Presidência da República do Brasilâ), Gilberto Carvalho, vertreten. [Carvalho war unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, kurz âLulaâ genannt, viele Jahre Kabinettschef und ist seit drei Jahren Generalsekretär von Präsidentin Dilma Rousseff.] Minister Carvalho sagte, dass Staat und Regierung durch Gesetze und ständige Wachsamkeit Beschützer der Religionsfreiheit und der Meinungsfreiheit sein müssen, die ein mühsam errungener Erfolg der Gesellschaft seien. Er betonte, wie ernst die brasilianische Regierung die von Schirrmacher und Machado angesprochenen Themen nehme. âMeine Gegenwart hier im Bundesgerichtshof ist unsere Anerkennung dieser Initiative, weil sie bei Aufbau und Konsolidierung des Respektes füreinander hilft.â
Schirrmacher und Machado statteten anschlieÃend zusammen mit einer Delegation von âAnajureâ dem brasilianischen Bundesverfassungsgericht einen offiziellen Besuch ab. Der Gerichtspräsident âMinisterâ Gilmar Mendes dankte für das Aufgreifen dieser wichtigen Themen und schlug vor, im nächsten Jahr eine gröÃere internationale akademische Konferenz zum Thema Religionsfreiheit im Bundesverfassungsgericht abzuhalten.
Am Ende führte Schirrmacher ein privates Vieraugengespräch mit Minister Mendes. Das Gespräch mit Mendes fand in deutscher Sprache statt, da Mendes in Deutschland promoviert hat und in Brasilien Bücher über das deutsche Verfassungsrecht veröffentlicht hat.
Prof. Santana kommentierte die Ereignisse am Ende mit folgenden Worten: âDie Präsenz von âAnajureâ in STJ und STF zeigt, dass unser Kampf zur Verteidigung der grundlegenden bürgerlichen Freiheiten in einem demokratischen Staat sehr wichtig ist und dass die oberste Justiz unseres Landes weiÃ, wie wichtig es ist, die angesprochenen Fragen zu diskutieren und zu analysieren. Alle drei Gewalten der Gewaltenteilung in Brasilien haben diesmal Anajure darin unterstützt. Wir füllen damit eine Lücke im brasilianischen Evangelikalismus.â
Das âSuperior Tribunal de Justiçaâ (STJ) (Superior Court of Justice) entspricht dem deutschen Bundesgerichtshof. Das âSupremo Tribunal Federalâ (STF) (Supreme Federal Court) entspricht dem deutschen Bundesverfassungsgericht.
Gastvorlesung in der Juristischen Fakultät der Universidade Presbiteriana Mackenzie in Sao Paulo
Am nächsten Tag gaben die beiden Experten Schirrmacher und Machado eine Doppelgastvorlesung zu âReligionsfreiheit als Grundrecht: Globale Lage, Herausforderungen und Theorienâ im groÃen Auditorium der Universidade Presbiteriana Mackenzie in Sao Paulo. Eingeladen hatte die Juristische Fakultät zusammen mit âAnajureâ, aber unter den 500 Zuhörern waren auch Vertreter des Lehrkörpers anderer Fakultäten.
Es war ungewöhnlich, dass die Doppelvorlesung von den drei Spitzen der Universität gemeinsam eröffnet wurde, dem Rektor Prof. Dr. Benedito Aguiar Neto, dem Kanzler Prof. Dr. Davi Charles Gomes und dem Präsidenten des Stiftungsrates Dr. Mauricio Melo de Meneses. Der Dekan der theologischen Fakultät, Dr. Augustus Nicodemus, und der Dekan der Juristischen Fakultät waren ebenfalls anwesend.
Schirrmacher lobte in seiner Gastvorlesung Brasilien, das in nur wenigen Jahrzehnten den Weg von einem Land mit einer dominierenden Staatsreligion und einer engen Verzahnung von Mehrheitsreligion und Politik zu einem Land mit einer hohen Religionsfreiheit geschafft habe, wie jüngst wieder die neueste Studie des PEW Research Center gezeigt habe, in der Brasilien bessere Werte in Sachen Religionsfreiheit aufweise als die USA und die besten Werte überhaupt unter den zwanzig einwohnerstärksten Ländern der Erde habe.
Schirrmacher betonte, dass jedes Land, das seine religiösen Minderheiten unterdrücke oder vertreibe, sich wirtschaftlich und auch sonst nur sich selbst schade und die Aufnahme religiöser Flüchtlinge Ländern nütze. Der Schaden für Deutschland durch Ausrottung und Vertreibung der Juden könne gar nicht bemessen werden, umgekehrt hätten die USA enorm von der Einwanderung der Juden profitiert. PreuÃen sei in Europa auch zur GroÃmacht aufgestiegen, weil der preuÃische Kurfürst allen religiösen Flüchtlingen wie Juden und Hugenotten, Religionsfreiheit und anfängliche Steuerfreiheit versprach, wenn sie das Land urbar machen und mit aufbauen würden.
Im Anschluss an die Vorlesungen fand eine Podiumsdiskussion zum Thema âPolitische und juristische Probleme der Religionsfreiheit in Brasilienâ statt, an der neben den beiden Gästen auch Prof. Dr. Uziel Santana teilnahm. Auf die Frage von Zuhörern, wie er sich dazu stelle, dass der säkulare, neutrale Staat in Brasilien und anderen Ländern überzeugte Christen in moralischen Fragen wie Abtreibung, Ehe oder sexuelle Orientierung immer mehr unter Druck setze und Gleichschaltung verlange, antwortete Schirrmacher, er sehe hier nicht den neutralen Staat am Werke, sondern ein liberales Christentum im Zusammenwirken mit Spielarten atheistischer Weltanschauungen, die den Staat missbrauchen würden, um konservativere Christen auf ihren Kurs zu zwingen.
Die 1870 als Amerikanische Hochschule gegründet Universidade Presbiteriana Mackenzie mit 44.200 Studenten ist eine der ältesten Hochschulinstitutionen in Brasilien und gehört zu den führenden Privatuniversitäten des Landes, die viele für die Geschichte Brasilien bedeutende Persönlichkeiten hervorgebracht hat. Der Spitzname âMackenzistaâ für frühere und heutige Studenten der Universität hat vor allem damit zu tun, dass ein erheblicher Teil der Absolventen regelmäÃig in den höheren Verwaltungsdienst in Brasilien geht. Neben ihrem groÃen Campus im Zentrum von São Paulo findet sich die Universität auch in Barueri, BrasÃlia, Campinas, Recife und Rio de Janeiro.
Eröffnung des Studienjahres des Martin Bucer Seminars Brasilien
An den folgenden Tagen eröffnete Schirrmacher das neue Studienjahr des brasilianischen Zweig des Martin Bucer Seminario mit 20 neuen Studenten, die er mit einer Predigt in der Igreja Batista da Graça (Grace Baptist Church) in São José dos Campos, der Nachbarstadt von São Paulo, begrüÃte. Der Pastor dieser Gemeinde, Gilson dos Santos, ist Vorsitzender des Vorstandes (âConselhoâ) des brasilianischen Trägervereins des Seminário Martin Bucer. Weitere Vorstandsmitglieder sind der der Dekan und Professor für Systematische Theologe Franklin Ferreira und Matias Heidmann, der bei der Deutschen Bank arbeitet.
Das Ausbildungszentrum mit 30 Ãbernachtungsmöglichkeiten des Martin Bucer Seminars in Brasilien liegt auÃerhalb von São José dos Campos â SP in Estrada Varadouro und wurde von einem erfolgreichen Bauunternehmer zur Verfügung gestellt. Die Studenten verbringen dort jahrgangsweise je zwei Studienwochen im Jahr. Im restlichen Jahr finden regelmäÃige UnterrichtsÂeinheiten und Gruppentreffen in 6 brasilianichen Städten statt, nämlich in Araguara (SP), Brasilia (DF), Rio de Janeiro (RJ), São José dos Campos (SP), Três Lagoas (MS) und Volta Redonda (RJ).
Links:
· Rede: http://www.youtube.com/watch?v=uFs0eSEPHvk
· Interview (ab 1:00): www.youtube.com/watch?v=anXdGIItiZY
· http://www.anajure.org.br/comitiva-da-anajure-visita-supremo-tribunal-federal/
· Universität Mackenzie: http://en.wikipedia.org/wiki/Universidade_Presbiteriana_Mackenzie
· Martin Bucer Seminar Brasilien: http://br.bucer.org/,
www.martinbucer.com
Downloads:
· Foto1: Schirrmacher während des Referats
· Foto2: Superior Tribunal de Justiça (vorn die Halle)
· Foto3: Supremo Tribunal Federal
· Foto4: Das Verfassungsgericht, Mendes vorne in der Mitte
· Foto5: Mendes und Schirrmacher
· Foto6: Gilmar Mendes
· Foto7: Schirrmacher im Interview
· Foto8: Eröffnung von rechts Schirrmacher Machado Präsident Kanzler Rektor
· Foto9: Schirrmacher mit Ãbersetzer Mauro Meister 2
· Foto10: Schirrmacher mit Ãbersetzer Mauro Meister 1
· Foto11: McKenzie University Aula (Wikipedia)
· Foto12: MBS Brasilien Empfangsgebäude
· Foto13: MBS Brasilien Blick vom Unterrichtsgebäude
· Foto14: MBS Brasilien Unterrichtsraum
· Foto15: MBS Brasilien Aufenthaltsraum der Studenten